„Sieh, der Mensch!“, sagt Pontius Pilatus…Und ich sehe eine Gestalt, entstellt, gedemütigt, den Menschen ausgeliefert.

 

„Sieh, der Mensch!“, sagt Pontius Pilatus… Und ich sehe eine Gestalt im Leid, mit dem Tod bestraft.

 

„Sieh!“

 

Aber ich will nicht. Ich will den leidenden Menschen nicht sehen: nicht am Kreuz, nicht am Galgen, nicht im Krieg, nicht im Hunger, nicht im Sterbebett.

 

Ich will den tätigen Menschen sehen, den lebenden, den strahlenden, den Menschen im Glück.

Den Tod ertrage ich nicht. Ich will es nicht wahrhaben, wenn die Ärztin sagt: „Wir können nichts mehr tun!“ Ich halte es nicht aus, wenn einer haucht: „Es geht zu Ende.“

 

Aber Pontius Pilatus verlangt heute genau das von mir: den Menschen am Ende zu sehen, mich selbst am Ende zu sehen. Widerwillig schaue ich aufs Kreuz.

 

Der Mensch am Kreuz klagt: „Warum?“

 

Mit ihm fragen viele: „Ja, warum? Warum gerade ich? Warum schon jetzt? Warum lässt Gott uns leiden?“  Das Kreuz gibt die Antwort nicht.

 

 „Sieh, das Kreuz!“ sagt die Kirche. „Sieh Stück für Stück, das ganze Elend. Verneige dich davor!“

Das mutet sie mir heute zu.

 

Es zumindest versuchen… Einmal versuchen, es anzunehmen. Einmal versuchen, mich zu lösen: von mir, von der verzweifelten Selbstbehauptung, vom Stolz, es allein schaffen zu müssen

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Für einen Augenblick ahnen wie das wäre: loszulassen, mich erlösen zu lassen.

 

Wie das wäre: zu vertrauen, dass Gott da ist.

Gott im Leid. Gott bei mir, in meiner schwersten Stunde.

 

P. Bruno Niederbacher SJ – Meditation zum Karfreitag 2009 (Jesuitenkirche Innsbruck)